Es gab einmal einen Fischer, der war schon alt und vom Leben müde. Er hatte eine Frau und drei Töchter, war arm und besaß nichts außer dem Glauben an Gott den Erhabenen und sein altes Fischernetz. Jeden Abend ging er bei Mondschein hinaus an das Ufer des Flusses, warf das Netz aus und wartete auf sein Glück. Doch er hatte keins.
Eines Tages dachte der Fischer: „Warum soll ich heute einen Fisch fangen, wenn ich nun schon seit Tagen keinen gefangen habe“, und wollte sein Netz einrollen. Dabei bemerkte er, dass das Netz durch irgendetwas zurückgehalten wurde. Er zog mit großer Kraft – ohne Erfolg. Da tauchte er ins Wasser und zog so das Netz an Land. Im Netz aber waren keine Fische, sondern ein toter Esel! Als der Fischer dies sah, war er sehr betrübt und sprach: „Es gibt nur Schutz und Kraft bei Gott dem Erhabenen.“ Er befreite den Esel, setzte sich auf die Erde und besserte das Netz wieder aus. Danach warf er es erneut ins Wasser und wartete.
Wieder zog er die Schnur langsam an sich, wieder war sie schwer und noch fester als beim ersten Mal. Freude erfüllte das Herz des alten Fischers und er dachte, er habe wohl einen großen Fisch gefangen. Als er es aber an Land zog, fand er darin einen großen Topf voll mit Sand und Steinen. Er konnte die Tränen kaum zurückhalten. Doch der Gedanke an seine Frau und die Kinder machte ihm wieder Mut, er schleuderte den Topf weg, warf sein Netz zum dritten Mal aus und wartete. Diesmal dauerte es nicht lange bis es nach unten sank und hängen blieb. „Gott hat meine Gebete erhört!“, dachte der Fischer. Der Fang schien groß zu sein und der Alte fing schon an, sich auszumalen, welche Freude er bald auf den Gesichtern seiner Lieben sehen würde. Er vergaß den Hunger und die Müdigkeit und gab sich viel Mühe, das Netz vom Grund hoch zu ziehen. Wieder fand er etwas Schweres darin. Dieses Mal war es eine große, oben mit Blei verschlossene Messing-Flasche. Der Fischer freute sich und dachte: „Die verkaufe ich dem Kupferschmied, sie ist gewiss zwei Maß Weizen wert.“ Da bemerkte er, dass die Flasche nicht leer war. Neugierig öffnete er die Flasche und versuchte, sie auszuleeren, doch es kam nichts heraus. „Merkwürdig“ dachte der Fischer. Plötzlich stieg Rauch aus der Flasche empor. Der verbreitete sich so schnell wie dunkle Sandwolken in der Wüste über die Erde. Der Rauch verdichtete sich und wurde zu einem Dschinn, einem Dämon. Seine Füße standen auf der Erde und sein Haupt ragte in den Himmel. Es war ein beängstigender Anblick: denn er hatte einen Kopf wie ein Brunnenloch, Vorderzähne wie eiserne Haken, einen Mund wie eine Höhle, Ohren wie Kampfschilde und Augen wie schwarze Laternen.
„Friede sei mit uns! Möge Gott mir beistehen!“, sagte der Fischer, der am ganzen Leibe zitterte. Der Dschinn sprach mit einer dunklen, donnernden Stimme: „Vernimm diese Nachricht – alter Mann!“
Da dachte der Fischer bei sich: „O Tag der Glückseligkeit, der Dschinn will mich bestimmt belohnen!“ Der aber fuhr fort: „Ich bringe dir die Nachricht, dass du sogleich getötet werden sollst. Wisse, du alter Mann, ich war Salomo, dem Propheten Gottes, ungehorsam. Der befahl mir, ich solle ihm gehorchen; aber ich weigerte mich, und da sperrte er mich in diese Flasche, verschloss sie mit Blei und befahl, mich wegzutragen und ins Wasser zu versenken.
Zweihundert Jahre blieb ich darin und beschloss, den reich zu machen, der mich befreien würde. Aber niemand kam. Zweihundert weitere Jahre vergingen und dann noch einmal zweihundert Jahre. Da beschloss ich, dem, der mich befreien würde, alle Schätze der Erde zu öffnen; doch auch dann befreite mich keiner. Ich beschloss, meinen Befreier zum Sultan zu machen, selbst sein Diener zu werden und ihm täglich drei Wünsche zu gewähren. Aber auch das half nicht. Nun wurde ich böse und beschloss, den zu töten, der mich befreien würde, ihn aber selbst wählen zu lassen, wie er sterben wolle. Nun alter Mann, sage mir also, wie du sterben willst.“ Der Fischer sprach: „Willst du mich denn töten, weil ich dich aus der Flasche befreit habe, wie du sagst?“ Und als der Dschinn diese Frage bejahte, sprach der Fischer weiter: „Du lügst! Diese Flasche kann nicht einmal deine Hand fassen und würde schon durch deine Füße zersprengt werden. Wie soll sie dich ganz fassen können?“
Es blitzte und donnerte und der Dschinn wurde sehr böse. „Wie wagst du es, du unwürdiges Wesen, zu behaupten, ICH würde lügen?! Ich werde es dir zeigen!“ Der Dschinn zog sich wieder zusammen und sank nach und nach in die Flasche, bis er ganz darin verschwunden war. Er schrie aus der Flasche heraus: „Siehst du nun? Bereite dich für den Tod vor!“ Aber der Fischer nahm rasch das Blei und drückte es wieder auf den Flaschenhals.
„Oh Dschinn! Wähle DU nun, wie du sterben willst!“. Als der Dämon dies hörte merkte er wohl, dass der Fischer ihn überlistet hatte, und er sprach zu ihm: „Guter Fischer, lass mich doch raus, ich habe nur meinen Scherz mit dir getrieben.“ „Ich will nichts Gutes von Dir, du armes Geschöpf Gottes“ antwortete der Fischer, „aber auch nichts Böses.“ Da leistete der Dschinn einen Eid und schwor beim Namen des Erhabenen, dass er dem alten Fischer kein Leid zufügen werde. Der Fischer öffnete die Flasche, wieder stieg Rauch in die Höhe, bis der Dschinn seine fürchterliche Gestalt annahm, die Flasche mit den Füßen zertrat und sie ins Wasser versank. Als der Fischer dies sah, schwante ihm nichts Gutes und er sah seinen Tod schon nahe. Doch fasste er Mut und sprach: „O Dschinn! Du hast einen Eid geschworen, darfst also nicht treulos gegen mich werden, sonst wird es Gott auch gegen dich sein.“
Der Dämon lachte und sagte: „Guter Freund, entschuldige, wenn ich dich jetzt verlasse.“ Er flog in den weiten Himmel und seine Stimme wurde immer leiser: „Gott stehe dir bei, guter Fischer. Und vergiss nicht, deinen Fang mitzunehmen!“ Da blickte der Fischer erstaunt um sich und sah den toten Esel, der war lebendig geworden und wieherte vor sich hin. Und der Topf blinkte nun voller Gold und glitzernde Edelsteine.
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